Santiago, Landau 14. August 2023. Der Ministerrat für Nachaltigkeit beschloß am 11. August einstimmig den Humboldt Archipel als „Área Marina Costera Protegida de Múltiples Usos, AMCP-MU“ (Meeresschutzzone mit verschiedener Nutzung) unter Schutz zu stellen. Anders als bei einem Meerespark, in dem nur Forschungs- und Beobachtungsaktivitäten durchgeführt werden können, sind in einer AMCP-MU Aktivitäten mit geringen Umweltauswirkungen wie handwerkliche Fischerei und Tourismus erlaubt. Weil Minister befürchteten, Investoren abzuschrecken, gab es bis zur letzten Minute massiven Widerstand gegen diese Entscheidung. An dem langen partizipativen Prozess waren Institutionen und zivilgesellschaftliche Gruppen der Gemeinden Freirina (Region Atacama) und La Higuera (Region Coquimbo) maßgeblich beteiligt.
"Mit dieser Maßnahme machen wir Fortschritte bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt in den Küstengewässern, schaffen nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten für die Gemeinden und fördern wirtschaftliche Vorteile in den Bereichen Tourismus, Erholung und Fischerei", sagte Umweltministerin Maisa Rojas.
"Dies ist eine der wichtigsten umweltpolitischen Errungenschaften der letzten Zeit in Chile, nicht nur für den Schutz dieses Hotspots der biologischen Vielfalt, sondern auch für die Sicherung wirtschaftlicher Aktivitäten wie der handwerklichen Fischerei und des Tourismus, die in beiden Regionen von entscheidender Bedeutung sind", sagte Liesbeth van der Meer, Geschäftsführerin der NGO Oceana.
Das Bergbauunternehmen Andes Iron lobte die "wichtige Mäßigung" des neuen Vorschlags und betonte, dass "keine Verbote von vornherein enthalten sind" und dass "die freie Schifffahrt und das Ankern nicht beeinträchtigt werden".
Wenn alle unzufrieden sind, wird gewöhnlich unterstellt, dass ein brauchbarer Kompromiss gefunden wurde. Was aber ist, wenn alle zufrieden sind? Historischer Erfolg oder Mogelpackung?
Was ist bisher bekannt?
- Mit der Entscheidung erhält der Humboldt Archipel - ein sensibles Ökosystem von globaler Bedeutung - endlich einen Schutzstatus, wenn auch nur auf sehr niedrigem Niveau. Mit diesem Schutz wird der Standard bei zukünftigen Prüfungen der Umweltverträglichkeit und bei Entscheidungen über die Nutzung der Meeresregion angehoben. Bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten muß dieser Standard beachtet werden.
- Im Gegensatz zu früheren Plänen und Entscheidungen wurde das gesamte Ökosystem von Punta Pájeros (Gemeinde Freirina) im Norden bis Punta Poroto (Gemeinde La Serena) im Süden, insgesamt 5.760 Quadratkilometer unter Schutz gestellt. Erstmals wurde damit die Einheit des Ökosystems und seine Lage in zwei Regionen – Atacama und Coquimbo – berücksichtigt.
- Die Regierung hat sich bei der Entscheidung auch verpflichtet, die Entwicklung in den bisher stark vernachlässigten Gemeinden La Higuera und Freirina finanziell massiv zu fördern. Angesichts solcher Perspektiven wechselte auch Yerko Galleguillo, Bürgermeister von La Higuera, bisher entschiedener Gegner der Meeresschutzzone, ins Lager der Befürworter.
- Alle aktuell bestehenden Genehmigungen und Lizenzen behalten auch nach der Deklaration der Meeresschutzzone ihre Gültigkeit. Das gilt für die Áreas de manejo (Bewirtschaftungs- und Nutzungsgebiete für benthische Ressourcen) der Fischer, für bereits geschützte Insel und Meeresgebiete (Reserva Marina Insel Choros und Damas sowie Insel Chañaral und das Nationale Schutzgebiet des Humboldt-Pinguins (Reserva Nacional Pingüino de Humboldt). Diese Gebiete behalten ihren höheren Schutzstatus. Die Áreas de manejo sind kein Problem, da sie auch heute schon nachhaltig bewirtschaftet werden. Die Bestandsgarantie gilt aber auch für die Konzession des Verladehafens Cruz Grande der Firma Companía Miñera del Pacifíco (CMP).
- Entgegen eindringlicher Forderungen von Wissenschaftlern und Naturschützern wurden große Industrieprojekte in dem sensiblen Ökosystem nicht verboten. Ihre Ansiedlung mit Schiffsverkehr, Ankern von Schiffen oder auch großen Entsalzungsanlagen (1) sind prinzipiell erlaubt. Wie diese Offenheit in Übereinstimmung mit der Bewahrung der Biodiversität im Humboldt Archipel gebracht werden soll, bleibt das Geheimnis der Politik und der Befürworter industrieller Projekte und provoziert neue juristische Auseinandersetzungen.
Die Gefahr der Zerstörung des Humboldt-Archipels ist mit einer so offen konzipierten Meeresschutzzone leider nicht gebannt, bestenfalls etwas verbessert. Wir erinnern uns. Der Abbau von Kupfer- und Eisenerz in den Minen von Andes Iron und CMP ist nach Aussagen von Bergbauexperten gewinnbringend gar nicht möglich. Die politisch Verantwortlichen nehmen bei ihrer Entscheidung für eine besonders offene Meeresschutzzone Rücksicht auf Spekulationsobjekte. (s. „Dominga“ die große Täuschung - Weltnaturerbe als Spekulationsobjekt 15. September 2021 auf diesen Seiten)
Wie geht es weiter?
Es wird kurzfristig ein Dekret „Área Marina Costera Protegida de Múltiples Usos – Humboldt Archipel“ verfasst und Präsident Boric zur Unterzeichnung vorgelegt. Danach wird in einem rund 2-jährigen Prozess ein Managementplan erarbeitet, der die verschiedenen Nutzungen und ihre Kontrolle im Einzelnen regelt. Die Befürworter industrieller Projekte, allen voran Bürgermeister Yerko Galleguillo, werden weiter massiv versuchen, Einfluss zu Gunsten von industriellen Großprojekten zu nehmen. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass Bürger, Organisationen der Fischer und des Tourismus aus Freirina und La Higuera gemeinsam mit Umweltgruppen sich wirkungsvoll an der Erarbeitung des Verwaltungsplanes beteiligen.
W.K.
Anm.
(1) Bei diesem Prozess fällt Sole, also Salzlauge, an. Sie ist deutlich salzhaltiger als Meerwasser und beinhaltet Chemikalien und gelöste Metalle wie etwa Magnesium, Natrium, Calcium, Kalium, Brom, Kupfer, Chlor und Lithium. Diese Stoffe werden beigegeben, um eine Verstopfung und Beschädigung der Entsalzungsanlagen zu verhindern. Meist wird das Gemisch nach dem Entsalzungsprozess wieder ins Meer geleitet, manchmal auch in andere Gewässer oder zur Verdunstung in Soleteiche gepumpt. In Chile werden die Rückstände oft dauerhaft in der Landschaft gelagert. Für Ökosysteme eine große und dauerhafte Gefahr.
Quellen
NGO Oceana, Pressemitteilung, 11. Aug. 2023
El Mostrador, Online-Zeitung, Santiago, 12. Aug. 2023
El Dia, Tageszeitung, La Serena, 12. Aug. 2023
Nancy Dumen B., La Serena, persönliche Mitteilungen 13. Aug. 2023