Projekte in Chile

Darf es 10 Prozent mehr Zerstörung sein?

- Corte Suprema setzt Termin für Vergleich an -

Landau, Santiago 5. Dezember 2021.

Am 29. und 30. November fanden vor der 3. Kammer des Corte Suprema die Anhörungen in Sachen Bergbau- und Hafenprojekt Dominga statt. Die Anhörung wurde live übertragen.

Chronologie

Es ist schwierig, im unendlich langen Dominga-Zyklus im Blick zu behalten, worum es geht:

- 2017 lehnten sowohl die Kommission für Umweltverträglichkeitsprüfung von Coquimbo als auch das Ministerkomitee das Bergbau- und Hafenprojekt Dominga mit der Begründung ab, das Vorhaben berücksichtige nicht ausreichend die Bedingungen des marinen Ökosystems und unterschätze daher die Auswirkungen auf eines der artenreichsten Ökosysteme im gesamten Humboldtstrom.

- Gegen diese Entscheidungen klagte die Firma Andes Iron beim Umweltgericht Antofagasta und bekam Recht.

- Die Gruppe der Kläger, die NGO Oceana, der Berufsverband der Fischer und Muschelzüchter (Los Choros), die indigenen Gemeinschaften der Changos sowie Bewohner der Gemeinde La Higuera, fochten dieses Urteil vor dem Corte Suprema an. Das Gericht entschied 2019, dass die Ablehnungen auf regionaler und ministerieller Ebene rechtmäßig waren, und wies die Argumente des Unternehmens zurück. Der Oberste Gerichtshof verwies den Rechtsstreit zurück an das Umweltgericht Antofagasta und forderte das Gericht auf, die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt gründlich zu prüfen, was nach Ansicht der Anwälte der Gruppe der Kläger (s. oben) nicht geschehen war.

- 2020 wurde der Streitfall erneut vor dem Umweltgericht Antofagasta verhandelt und entschieden. Veröffentlicht wurde das Urteil aber erst am 16. April 2021. Das Umweltgericht kam der Aufforderung des Obersten Gerichtshofs nicht nach, die Auswirkungen gründlich zu prüfen,  sondern ordnete stattdessen eine erneute Abstimmung in der regionalen Umweltbewertungs-Kommission (COEVA) an.                                                                                                                       

- Gegen diese Entscheidung hat die Gruppe der Kläger (s. oben) erneut vor dem Corte Suprema geklagt.

- Noch vor der Entscheidung des Corte Suprema genehmigte - zum Erstaunen des ganzen Landes - am 11. August 2021 die Umweltbewertungs-Kommission mit 11 Ja-Stimmen und einer Gegenstimme das Bergbau- und Hafenprojekt Dominga der Firma Andes Iron (s. Artikel "Nein zum Ökozid - #NoaDominga“ https://sphenisco.org/de/)

Gegen diese Entscheidung wurden inzwischen ca. 30 Widersprüche eingereicht, sowohl von natürlichen Personen als auch verschiedenen Vereinigungen, darunter Fischergewerkschaften, Alianza Humboldt sowie NGO´s wie Oceana.

Anhörungen

Am ersten Tag der Anhörung hielt die Gruppe der Kläger ihre Plädoyers. Sie forderten 1. die endgültige Ablehnung des Projekts Andes Iron, 2. ersuchten sie den Obersten Gerichtshof, die Rechtswidrigkeit des Urteils des Umweltgerichts in Antofagasta festzustellen sowie 3. die Ablehnung des Projektes von Andes Iron aufrechtzuerhalten und damit den mehr als vier Jahre andauernden Rechtsstreit zu beenden.

Am zweiten Tag erklärte Patricio Leyton, der Anwalt von Andes Iron, man sei zu der Überzeugung gelangt, dass es am besten sei, nur einen der Häfen in der Gemeinde La Higuera zu bauen. So ließen sich wirtschaftliche Entwicklung und Umwelt in Einklang bringen. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen mit dem Vorschlag überrascht, aus Gründen der Rentabilität keinen eigenen Hafen zu bauen, wenn die Firma Compañía Minera del Pacífico (CMP) den Hafen „Cruz Grande“ bauen würde. In diesem Fall und wenn es Andes Iron ermöglicht würde, diese Infrastruktur gemeinsam zu nutzen, sei man bereit, auf den Bau eines Verladehafens zu verzichten. Darüber hinaus bot Anwalt Leyton weitere Möglichkeiten an, den Rechtsstreit beizulegen. So sei Andes Iron bereit, alle Genehmigungen an den chilenischen Staat abzutreten oder auch andere Alternativen zur Befriedung zu prüfen.

Patricio Leyton hob in seinem Plädoyer hervor, Streitgegenstand sei eine Bergbau- und nicht eine Hafeninitiative. Die Einwände der Gegenseite richteten sich aber in erster Linie gegen das Seeterminal. Er betonte, das Projekt sei durch zahlreiche fachliche und wissenschaftliche Stellungnahmen von öffentlicher und privater Seite gut qualifiziert. 

Carlos Claussen, Vertreter des Bergbauverbands La Higuera führte aus, der „Hafen sei nur Beiwerk", seine Nutzung minimal. So „passiere wöchentlich nur ein Schiff das Naturschutzgebiet, das zudem mehr als 20 Kilometer entfernt liege. Das Schiff führe dabei mit einer viel geringeren Geschwindigkeit als die Tausende von Schiffen, die derzeit die Route jährlich befahren".

Die Gewerkschaft der handwerklichen Fischer von Totoralillo Norte ließ erklären, an dem Projekt interessiert zu sein und beantragte, festzustellen, dass es mit den Vorschriften übereinstimme.

Statt einen Zeitpunkt für das Urteil anzukündigen, überraschte der Gerichtshof mit einem Vergleichstermin Mitte Januar 2022, bei dem eine Einigung zwischen den Parteien gefunden werden soll.

Verlauf und Ergebnis

Verlauf und Ergebnis der Anhörung sind verblüffend, werfen Fragen auf und sollen nicht unkommentiert bleiben:

- Nachdem bekannt wurde, dass die Mine Dominga keinen rentablen Abbau von Eisenerz und Kupfer zulässt, stellt sich die Frage, wofür Andes Iron gemeinsam mit Compañía Minera del Pacífico (CMP) den Hafen nutzen will? (s. „Dominga“ die große Täuschung, https://sphenisco.org/de/

- Der Anwalt von Andes Iron betont, der Projektantrag sei durch fachliche Stellungnahmen gut fundiert. Genau das hatten Umweltbewertungskommission von Coquimbo sowie das Ministerkomitee 2017 anders gesehen und das Projekt Dominga abgelehnt. Der Corte Suprema hatte diese Einschätzung geteilt und das Umweltgericht Antofagasta aufgefordert, die tatsächlichen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt gründlich zu prüfen. Dieser Aufforderung ist das Gericht bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung 2020/2021 aber nicht nachgekommen.

Streitgegenstand ist, ob die Ablehnung des Projektes wegen unzureichender Berücksichtigung der Bedingungen eines sensiblen Ökosystems rechtmäßig war. Statt endlich das Projekt im Kontext der Umwelt zu bewerten bzw. bewerten zu lassen, bietet Andes Iron an, die strittig unrechtmäßig erworbenen Genehmigungen an den Staat abzutreten. Die Gefahren für das Archipel Humboldt verringern sich aber nicht, wenn der Staat den Hafen errichtet und betreibt. Problemverschleierung auf höchstem Niveau.

- Auch der Vertreter des lokalen Bergbauverbands weigert sich konsequent, die realen Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen: Richtig Herr Claussen, das Nationale Schutzgebiet des Humboldt-Pinguins liegt rund 20 Kilometer von der geplanten Route entfernt. Das bedeutet allerdings nicht, dass das geplante Projekt keine Auswirkungen auf das Schutzgebiet hat. Herr Claussen blendet zudem aus, dass zum einmaligen Ökosystem auch bislang noch ungeschützte Inseln gehören, die direkt an der Route liegen. Auf einer von ihnen, der sehr kleinen Insel Tilgo, brüten nach der aktuellen, von SPHENISCO beauftragten Zählung z. B. 600 Paare. Das sind 6 Mal so viel wie in früheren Jahren. Entgegen den Erwartungen des Bergbauverbandes brüten Pinguine nicht exklusiv in Schutzgebieten.

Es besteht außerdem ein erheblicher Unterschied zwischen Fischerbooten und Frachtschiffen. Die Fischerboote verkehren lokal, schleppen daher keine invasiven Arten ein. Ihre Emissionen sollten zwar auch reduziert werden, sie entstehen aber nicht zusätzlich wie die Emissionen der Frachtschiffe. Bei möglichen Unfällen geht von der Fracht der Fischer keine, vom Eisenerz und Kupfer der Frachtschiffe aber eine beträchtliche Gefahr für das marine Ökosystem aus. 

- Die Fischer von Totoralillo Norte fallen den Fischern der anderen Küstendörfer in den Rücken. Es ist unklar, welche Interessen sie leiten und warum ihnen die Feststellung des Corte Suprema von 2019 nicht ausreicht, dass bei der Umweltverträglichkeitsprüfung die Bedingungen des Ökosystems nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

- Der Corte Suprema will also, dass die Parteien sich vergleichen und der Gerichtshof nicht entscheiden muss. Mit der Natur kann man aber nicht verhandeln, sich auch nicht vergleichen. Darf es 10 Prozent mehr oder weniger Zerstörung sein?

W.K.

Quellen

Diario Financiero, Finanzzeitung (print und online)

online-Zeitung El Mostrador

Alianza Humboldt, persönliche Mitteilungen

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